Solche Geschichten gibt´s. Aber es gibt natürlich noch ganz andere… - Ein furioser Debüt-Roman aus dem Postsuerrealismus „Es gab Leute, die ihre Kinder an einem Tischbein festbanden, damit ihnen nichts zustieß, während sie allein zu Hause waren. Es auch welche, die ihre Kinder nicht festbanden und die Kleinen tun und lassen ließen, was sie wollten, zum Beispiel Blumen aus dem neuen Tischtuch ausschneiden und feinsäuberlich auf dem Boden auslegen, wie dieser Fünfjährige aus Horodenka. Als die Erwachsenen nach Hause kamen, waren sie sehr verärgert. Der verängstigte Junge versteckte sich unter seinem Bett, der Vater zog ihn hervor und drosch dabei mit seinem Gürtel auf die Hände des Buben ein. Er schlug ihn so hart, dass dem Kleinen im Bezirkskrankenhaus beide Hände amputiert werden mussten. Beim Verlassen des Krankenhauses sagte der Junge zu seinem Vater – alle Ärzte und Krankenschwestern bekamen es mit und die Regionalzeitungen berichteten darüber: „Papa, ich werde nie mehr Blumen aus dem Tischtuch ausschneiden, gib mir nur bitte meine Hände zurück.“ Diese Geschichte ist nur eine der vielen erschütternden Episoden aus dem Leben Lenas, geboren in San Francisco – Ukraine. Zerrissen zwischen Postkommunismus und Kapitalismus, russischer Administration und erwachendem ukrainischen Nationalstolz versucht ein Volk, einen Platz zu finden, und zu überleben. Das Mädchen Lena mittendrin, mit wachem Geist und voller Mitgefühl für all die Stolpersteine, die ihren Mitmenschen das Überleben schwer machen. Kein Wunder, dass sie sich nach Wundern sehnt. Und trainieren möchte, Wunder zu erkennen. Das lernt sie schon im Kindergarten, auch wenn die Wunder für manch anderen unsichtbar bleiben, der Leser weiß mehr. So machen wir uns mit der jungen Lena über gut 250 Seiten auf die Reise. Lernen einen hellblauen Plastilinschwan, ein Mädchen namens Hund, herrenlose Hunde, Fleischverkäufer, Säufer-Philosophen, die Diskusswerferin Wassylyna, den Yogi Pawlo, die Kneipe „Goldfisch“, den Boxclub „Wunderblume“ und die Universität von San Fancisco kennen. Dass Lena zwischen Uni und fanatischem Aktionismus herum trudelt, Geschichten über eine fliegende Oma mit Blümchenkopftuch sammelt und beinahe Brandbomben wirft, wirkt nur logisch angesichts der Charms-artigen Ereignisse in diesem wundervollen Buch. Mit einer überraschend lakonischen Weisheit gelingt es der jungen Autorin, die 1983 in Iwano-Frankiwsk, Ukraine geboren wurde, grausamste Fanatiker-Praktiken, sturste Bürokraten-Beschlüsse und brutalste Gaunereien so nebenbei und ironisch zu beschreiben, dass einem Schauer des Grauens über den Rücken laufen. In bester Tradition hochintelligenten russischen Klamauks von Charms bis Bulgakow fabuliert Maljartschuk die Nicht-Karriere ihrer Heldin in ein absurdes wie schönes Ende hinein. Dass der Handlungsfaden mitunter etwas abdriftet und zu verrinnen droht, sollte großherzig übersehen werden, hier hat ein großes Talent die Bühne der Weltliteratur betreten! Möge der seit zwei Jahren in Wien lebenden Autorin noch viel Skurriles über den Weg laufen, an dem sie um teilhaben lässt.
frei